Eine Methode zur Anregung kultureller Qualität
Anstelle der heute üblichen Qualitätssicherungsverfahren praktizieren wir seit Jahren eine eigene Methode, der wir den Namen Kollegiale Wert-Schätzung (KWS) geben. Qualität im geistigen, sozialen, kulturellen Bereich kann nie eine allgemeine, objektiv festlegbare sein. Was die einen für einen guten Roman, eine gute Beziehung halten, gilt für andere vielleicht als schlecht. Geistige, kulturelle, soziale Verhältnisse sind immer solche, welche subjektiver Beurteilung unterliegen, es sei denn in totalitären oder dogmatischen Verhältnissen. So wird es in einer Demokratie keine allgemeingültige Norm für eine gute Pädagogik geben können. Unter diesen Verhältnissen Qualität, die verschieden beurteilt werden kann, sichern zu wollen, beruht auf einem Irrtum. Denn geistige Qualität lässt wohl erzeugen und steigern, nie aber sichern, was ein Festhalten bedeutete.
Es liegt allerdings etwas Berechtigtes darin, kulturell Gutes fördern und Schlechtes vermeiden zu wollen. Doch was allein ist die Quelle guter oder weniger guter kultureller Leistungen, wozu auch Pädagogik gehört? Und wer allein kann diese fordern? Kulturelle und soziale Qualität liegt immer in der Entwicklung einzelner Persönlichkeiten, nicht aber in einer Institution. Die persönliche Entwicklung kann gefördert oder gehemmt werden durch Anteilnahme oder Ablehnung im sozialen Bereich, also durch solche von Kollegen. Und die Forderung danach kann berechtigt nur erhoben werden von Einzelnen, die sich selber dieser Forderung unterziehen.
So gehen wir aus von historisch bewährten Beispielen gegenseitiger Anteilnahme und Förderung. Ein historisches belegtes und mustergültiges, wenn auch geistig hoch angesiedeltes Beispiel ist das Freundschaftsverhältnis von Schiller und Goethe (1795-1895). Es fand in Gesprächen und in einem Briefwechsel statt, der für den heutigen Sprachgebrauch eine Dokumentierung bedeuten würde. Die Methode, wenn man dieses Verhältnis so nennen darf, war das gegenseitige von einander Lernen, das auch durchaus freundschaftliche Kritik und Korrektur enthielt. Diese soziale Verhaltensweise, die man methodisch je nach den Gegebenheiten strukturieren kann, lässt sich überall da erüben, wo man im kulturellen und sozialen Zusammenwirken ein freundschaftliches gemeinsames Streben zum Ziele hat. Nennt man dieses Streben Kollegiale Wert-Schätzung, so kann diese auch fördernde Korrektur und hilfreiche Kritik enthalten.
Strukturelle Voraussetzungen sind zunächst die von den Einzelnen im Miteinander deutlich formulierten Aufgabenbereiche, wie auch die Umsetzungsbestrebungen, die jeder von seiner Warte aus zu beschreiben hat. In regelmässigen und unregelmässigen Gesprächen zu Zweien, zu mehreren und mit allen gemeinsam, kann der Austausch stattfinden, der regulierend, anregend, korrigierend zu einem von den Individuen ausgehender Lern- und Entwicklungsprozess führt. Eine Dokumentation kann in Stichworten oder längeren Ausführungen den Prozess in Erinnerung rufen. Um den vielleicht allzu engen Kreis der solcherart miteinander Arbeitenden zu öffenen, können ein oder mehrere Aussenstehende, deren guter Wille zur Zusammenarbeit gewährleistet ist, dazu gebeten werden, um eine Spiegelung zu bewirken, zum Beispiel in der Form eines beratenden Freundeskreises Am Ende bestimmter Zeitabstände, so halb- oder ganzjährig, können interne Berichte von einem oder mehreren Kollegen verfasst werden.
Ein solches Verfahren setzt immer den Guten Willen von allen Beteiligten voraus. Ist ein solcher nicht (mehr) vorhanden, so fällt dieses soziale Verfahren, liesse sich aber durch kein anderes ersetzen, das nicht vom guten Willen ausgeht. Die Inhalte einer solchen Methode müssen intern und vertraulich sein, um ihren Wert nicht zu verlieren.
Ein derartiger gemeinsamer Weg schliesst ein, dass sowohl der geistige, soziale, kulturelle Inhalt wie auch die Methode mit den Beteiligten sich kontinuierlich weiterentwickeln. Der erweiterte Freundeskreis hätte die Aufgabe, zu beurteilen, ob die Arbeit stagniert, ihre Ziele erreicht, ob sie Neues zustande bringt. Zu diesem Zweck müsste dieser Kreis auch mit der Vollmacht, regulierend einzugreifen, versehen werden, bis dahin gehend, die Beendigung dieser Arbeit vorzuschlagen.
Ausser dem modellhaften Freundschaftsverhältnis zwischen Schiller und Goethe können wir die durch lange Zeiten bewährte politische und soziale Gestalt der Schweizer Eidgenossenschaft zum Vorbild unserer Methode nehmen. Bei Schiller und Goethe ist es das Lernen voneinander im geistigen und kulturellen Bereich, im Eidgenössischen ist es die Entstehung und Umsetzung von Handlungsmotiven im Sozialen als Wille, welche Vorbild sein können. Hier ist es das Prinzip der Gleichheit aller im Kreis Versammelten, in welchem jeder als eine Persönlichkeit geachtet und gehört wird, welches nachzubilden ist. In diesem Prozess verbinden sich, trotz vorhandener Gegensätze, auf eine organische Weise die Willen aller.
Das bedeutet: jeder ist auf seine Weise zu einem Ergebnis gekommen. Damit ein Beschluss entstehen kann, braucht es den gemeinsamen Willen. Dann aber, das ist das Besondere der historischen Schweizer Eidgenossenschaft, ist es Einer, der sich erhebt, um den Beschluss durchzuführen, der Tell gewissermassen. Dieser Eine wird nicht durch die Mehrheit gewählt, sondern er ergreift die Führung aus dem Bewusstsein, dass er der hier dazu Berechtigte und Aufgerufene ist. Indem er nun führt, dient er der Genossenschaft aus freiem Willen und individualisiert deren gemeinsamen Willen. So entsteht eine immer wieder wechselnde Hierarchie und damit das Gegenteil der Mehrheitsdemokratie, welche mit jedem Beschluss eine Minderheit ausschaltet und damit auch deren Qualität als Beitrag zu dem Ganzen ausschliesst.
Beide Modelle, das der in Freundschaft voneinander Lernenden und das der aus einem genossenschaftlichen Willen miteinander Handelnden sollen sich, so ist unser Streben, in dem verbinden, was wir Kollegiale Wert-Schätzung nennen.
Daraus auch im Umgang mit den Kindern Umgangsweisen zu finden, um von Fall zu Fall, ihrem Bewusstseins- und Reifezustand entsprechend, zu Lern- und Handlungsprozessen zu kommen, ist unser – immer unvollkommenes – Bemühen.
Die regelmässige wöchentliche Arbeit mit den von W.K. entwickelten Kallias Übungen, die tanzartig und spielerisch soziale Relationen darstellen, macht, was oft in blosser Absicht der Vorstellung lebt, auf eine vergnügliche Art erfahrbar und anschaulich.