Qualitätssicherung

Heutige Institutionen sind bedroht, wenn sie sich nicht  Verfahren auferlegen, die mit dem Wort Qualitätssicherung bezeichnet werden. Was kann daran falsch sein – ein Kindergarten, eine Schule, eine heilpädagogische Einrichtung, ein Krankenhaus nimmt sich Richtlinien vor, die dazu dienen, die jeweilige Qualität zu sichern, die in diesen Richtlinien vorgeschrieben oder sich vorgenommen wird? Solche Einrichtungen sind öffentlich, die Öffentlichkeit hat ein Recht, Qualität zu verlangen, wenn sie ihre Kinder, ihre Behinderten, ihre Patienten da hin schickt.

Die Logik dieser Gedanken klingt einleuchtend, aber sie ist völlig oberflächlich. Denn was ist Qualität auf einem Gebiet, das von Menschen gestaltet und erfüllt werden soll, die ganz verschieden sind, jeder eine Individualität? Und nur durch die persönliche Hingabe, Zuwendung und Entwicklung kann Qualität in Erziehung, Heilung, Unterricht erreicht werden. Jeder Mensch aber ist anders als andere, hat eine andere Biografie, anderen Entwicklungsphasen, eigene Lebensziele und Impulse. Eine festgelegte Qualität einer Einrichtung würde bedeuten, dass die Mitarbeiter alle gleich sind, dass sie immer gleiche Leistung zu bringen vermögen und dass sie austauschbar sind. Da aber es nicht möglich und auch nicht anzustreben ist, dass in einer Einrichtung, die eine kulturelle und soziale Leistung erbringen will, alle Menschen, also nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die Schüler, Studierenden, Patienten gleich und austauschbar sind, hat das Ziel einer derartigen Sicherung von Qualität keinen Sinn, ja sie kontraproduktiv, wie die bisherigen Erfahrungen zeigen.

Zunächst muss  die Frage entstehen: hat es jemals vor unserer Zeit so etwas gegeben, was man Sicherung von kultureller und sozialer Qualität nennen könnte?  Die Antwort darauf ist nein. Die nächste Frage ist die: hat es in der menschlichen Kultur Leistungen gegeben, die ohne eine solche Sicherung zustande gekommen ist? Jeder Kulturkenner weiss die Antwort. Und er weiss auch, dass der Gedanke an eine solche Sicherung zu allen  früheren Zeiten lächerlich, ja absurd gewesen wäre.

Wie kommt es aber, dass man in unserer Zeit diese Frage nicht nur nicht lächerlich und absurd findet, sondern  man sie offensichtlich so ernst nimmt, dass der Zwang hingenommen wird, eine Sicherung der Qualität in kulturellen und sozialen Einrichtungen einführen zu sollen? Der Zwang ist die Finanzierung, denn ohne eine sogenannte Qualitätssicherung bekommt man weder Geld noch Genehmigung.

Nähern wir uns dieser Frage, dann wird klar, dass die Forderung nach Sicherung von kultureller und sozialer Qualität niemals kommen kann aus einem echten Kulturbewusstsein und niemals aus der Kenntnis von menschlicher Kulturgeschichte und der Natur des Menschen. Es wird offensichtlich, dass es ein technisches, ein technokratisches und also menschenfremdes Denken ist, das hinter solchen Forderungen steht. Was in der Industrie, in der Herstellung von Produkten unbedingt notwendig ist, Normung und Standardisierung, ist, was die seelische und geistige Leistung von Menschen betrifft, unsinnig, ja zerstörend. Die Folgen davon zeigen sich seit längerem in dem zunehmenden Stress zum Beispiel in Einrichtungen für alte Menschen, in Krankenhäusern, auch in Hochschulen, wo die Mitarbeiter vor lauter Dokumentation ihrer angeblichen Qualität nicht mehr zu ihrer eigentlichen Arbeit kommen, der an den Menschen.

Eine weitere Frage, die sich nicht leicht beantworten lässt, ist, wer hinter dieser Forderung nach sogenannter Qualitätssicherung steht und vor allem, woher dieser unbedingte und zähe Wille kommt, diese Forderung durchzusetzen. Wie so oft wird auch hier aller demokratischer Wille ausser Kraft gesetzt, um mit grossem Nachdruck etwas zu bewirken, was weder allgemein noch von wirklichen Fachleuten durchdacht und zur Diskussion gestellt wurde.

Wer hat wirklich Interesse an einem solchen Verfahren, das seiner Natur nach nicht zu Qualität auf kulturellem und sozialem Gebiet führen kann, sondern im Gegenteil, gerade die Fähigkeit zu solcher Qualität lähmt, ja zerstört? Wenn man weiss, wer das wirklich will, welche Menschen mit welchen Namen, dann kann man mit ihnen diskutieren. Aber sie sind verborgen, sie stellen sich nicht der Diskussion. Von denen ist nicht die Rede, die aus Leichtgläubigkeit und Opportunismus die Worte nachplappern, die ihnen vorgegeben werden. Wer also will die Zerstörung kultureller, menschlicher, sozialer Qualität durch solche Zwangsmassnahmen? Das ist die wichtigste Frage.

Wie sind die Kräfteverhältnisse zum Beispiel in einer Schule, in einer heilpädagogischen Einrichtung, in einer Hochschule? Die Lehrenden, die Heilenden treibt der Wille zu lehren, zu heilen. Dass es schlechte Lehrer und schlechte Therapeuten gibt, ändert nichts an dem  Urbild. Der schlechte Lehrer, der schlechte Heiler ist ja ein solcher, weil der gute jeweils das Mass gibt.

Aber wird ein schlechter Lehrer ein guter Lehrer, wenn eine äussere Zwangsmassnahme dies bewirken soll? Wird ein guter Arzt ein solcher, wenn er von aussen gezwungen wird? Wer wird einem Arzt vertrauen, von dem er weiss, dass er unter Druck und Beobachtung steht und  Angst hat, etwas falsch zu machen?  Ein solcher Arzt, Lehrer, Erzieher wird unsicher und verkrampft sein und ganz gewiss Fehler begehen, die niemals entstehen würden, lebte und arbeitete er in Verhältnissen des gegenseitigen Vertrauens.

Wer aber hat den zynischen Satz gesagt: Vertrauen ist gut. Kontrolle ist besser. Es war Lenin, einer der Urheber des Sowjetsystems, also der weltgeschichtlich einmaligen Unterdrückung  aller äusseren und inneren Freiheit und Menschlichkeit. Das war, wiederum zynisch gesprochen, die absolute Sicherung einer „Qualität“. Sie hat sich blutig selbst widerlegt.

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