Das soziale Urphänomen
Das erste Gesetz des guten Tons, der Schönheit im Umgang miteinander, ist: Schone fremde Freiheit, das zweite: Zeige selbst Freiheit.
Die pünktliche Erfüllung beider ist ein unendlich schweres Problem, aber der gute Ton fordert sie unerlässlich….
Ich weiß für das Ideal des schönen Umgangs kein passenderes Bild als einen gut getanzten und aus vielen verwickelten Touren komponierten englischen Tanz.
Ein Zuschauer aus der Galerie sieht unzählige Bewegungen, die sich aufs bunteste durchkreuzen und ihre Richtungen lebhaft und mutwillig verändern und doch niemals zusammenstoßen. Alles ist so geordnet, dass der eine schon Platz gemacht hat, wenn der andere kommt, alles fügt sich so geschickt und doch wieder so kunstlos (absichtslos) ineinander, dass jeder nur seinem eigenen Kopf zu folgen scheint und doch nie dem anderen in den Weg tritt.
Es ist das treffendste Sinnbild der behaupteten eigenen Freiheit und der geschonten Freiheit des anderen.
Friedrich Schiller Kallias oder über die Schönheit 1792/93