Sie ist zunächst die Lebensarbeit von Werner Kuhfuss. Als solche ist sie nicht ein fertiges Gebilde, sondern eben eine Schule, bei der der Lehrer lehrt, indem er voran geht. Der Lehrer steht nicht über dem Schüler, sondern er bereitet den Weg, ja er ist der Weg.
Wie soll man das verstehen, und wer ist jetzt der Lehrer? Wenn Michelangelo, der grosse Bildhauer sagt, dass er aus dem Marmor in seiner Arbeit das herausholt, was er bereits in dem Stein als eine Gestalt zu sehen vermag, dann führt diese Gestalt seine Hände bis hin zum fertigen Kunstwerk. Die dem Stein innewohnende Gestalt oder deren geistiges Bild ist also der Lehrer oder der Führer des Künstlers. Im Studium der Arbeiten von diesem Künstler, aber auch von Leonardo da Vinci, von Goethe, von Schiller lernen wir eine Methode kennen, die Rudolf Steiner anhand von Goethes Lebenswerk den Goetheanismus nennt. Alle diese Künstler, wie Steiner selbst, die gleichzeitig auch Wissenschaftler sind, gehen von dem Phänomen aus, das sie vor sich haben. Sie haben geübt, das Phänomen so objektiv und gleichzeitig hingegeben wahrzunehmen, dass es sich mitteilt, dass es gleichsam zu sprechen beginnt. Es ist die phänomenologische Vorgehensweise, um künstlerisch und wissenschaftlich so zu arbeiten, dass nicht eine Theorie, eine Hypothese das Vorgehen leitet, sondern der Gegenstand, das Phänomen selbst.
Kallias Schule ist also zunächst der persönliche Weg eines Menschen, der lernt und gelernt hat, sich an den Vorbildern der grossen Phänomenologen zu orientieren, in diesem Fall besonders in Bezug auf das Gebiet der Pädagogik des ersten Jahrsiebtes, also des Kindes im Spielalter und auf das Gebiet der Bewegungen, die entstehen, wenn Menschen sich in Verhältnissen, in Relationen zueinander bewegen.
Weitere Gebiete, so zum Beispiel der Umgang mit autistisch gestörten Kindern und Jugendlichen, mit Drogenabhängigen, mit der Architektur, mit einem neuen, rhythmisch-musikalischen Arbeitsansatz lassen sich, wie es hier geschehen ist und geschieht, auf die gleiche Weise bearbeiten, um zu Wegen, Lösungen und Methoden zu gelangen. Anderen Menschen ist es vorbehalten, auf anderen Gebieten Resultate zu erreichen, die gleichermassen nicht von aussen hereingetragen, sondern aus dem Phänomen oder dem Problem selber entwickelt zu werden vermögen. Die dazu notwendige Denkweise ist durch Rudolf Steiners Erkenntnistheorie gegeben.
Das Wort Kallias ist von Schillers Schrift Kallias oder über die Schönheit genommen, eine Parallelschrift zu den Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen (1794). In dieser Schrift beschreibt Schiller unter anderem das Urphänomen des Sozialen als einen Bewegungsvorgang, als einen Tanz. Dieses Urphänomen liegt auch den Kallias Bewegungsübungen zugrunde, die sich für Werner Kuhfuss seit 1984 kontinuierlich durch das gemeinsame Üben mit Menschengruppen ergeben haben und weiter ergeben.
Die soziale Frage und auch Rudolf Steiners Lehre von der sozialen Dreigliederung nicht nur als Vorstellungsinhalte, sondern als real zu vollziehende Bewegungsvorgänge zu verstehen, öffnet völlig neue Möglichkeiten. Schliesslich nennt Steiner sie Drei-Gliederung und ist als solche mit den Gliedern erfahrbar. Volkstänze alter Zeit sind somit die Vorgänger des heutigen und zukünftigen Gestaltens sozialer Verhältnisse durch Bewegung, welches auf nichts anderes gerichtet ist, als auf die Erhellung und Harmonisierung der Relationen zwischen Menschen.
Um die Arbeit der Kallias Schule zu stützen und mit dem Ziel, darin voneinander Lernende zu sein, haben sich seit 2010 Menschen an verschiedenen Orten und in mehreren Ländern in der Kallias Schule zusammengeschlossen, um sich in unregelmässigen Abständen an verschiedenen Orten zu treffen und über ihre Arbeit auszutauschen. Bislang (Mai 2013) haben vierzehn Begegnungen stattgefunden. Die Gründung eines Vereins ist in Vorbereitung.